#Sozialwahlstreik 2023
- Zu diesem Thema
- Blogartikel zur Sozialwahl und zur Online-Sozialwahl (2017)
- Unser Kongress #eVoteCon20 von 13. bis 15. März 2020 in Mannheim:
- Online-Wahlen als Demokratie-Downgrade
- Wie emanzipatorisch ist Online-Beteiligung?
- Brauchen wir ein europäisches Bündnis gegen #eVoting?
Redaktion: Jörg Preisendörfer.
Diese Seite wird mehrmals wöchentlich aktualisiert.
Fehlende Fundstellen und Belege werden wegen
ihrer Menge Schritt für Schritt ergänzt.
Jüngste Aktualisierung: 1. März 2020.
Klingt wie eine Verschwörungstheorie, ist aber keine:
In der Bundesrepublik sollen bei der Sozialwahl die Stimmberechtigten die Wahlergebnisse nicht mehr aus eigener Anschauung nachprüfen können.
Das wollen:
- Die Bundesregierung,
- die Regierungskoalition aus den Fraktionen von SPD, CDU und CSU im Bundestag,
- große Gewerkschaften wie ver.di,
- große Sozialversicherungsträger wie die Ersatzkassen, die Innungskrankenkassen und die Deutsche Rentenversicherung,
- erstaunlicher Weise die Vorsitzenden des Bundeswahlausschusses für die Sozialwahl, Rita Pawelski (CDU) und Klaus Wiesehügel (SPD, IG Bau), die eigentlich von Amts wegen ein Interesse an der leichten Nachprüfbarkeit der Wahlergebnisse haben sollten, und
- ein Netzwerk rechtsgerichteter Jurist:innen.
Umgesetzt wird die Beseitigung der Möglichkeit zur Laienkontrolle von Ergebnissen der drittgrößten Wahl in der Bundesrepublik durch die Einführung von #eVoting (Online-Wahlen).
Auch für Betriebsratswahlen soll die Laienkontrolle der Wahlergebnisse nach dem Willen von SPD, CDU und CSU noch im Jahr 2020 beseitigt werden.
Unter der Bezeichnung Sozialwahl ist in der Bundesrepublik die Wahl der Mitglieder der Selbstverwaltungsgremien der gesetzlichen Sozialversicherungsträger bekannt. Dies betrifft die Krankenversicherungen, die Pflegeversicherungen, die Rentenversicherungen und die Unfallversicherungen.
- Die Bundesagentur für Arbeit gehört als Versicherung gegen Arbeitslosigkeit zwar zum System der gesetzlichen Sozialversicherung in der Bundesrepublik, dort werden die Mitglieder der Selbstverwaltung jedoch durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ernannt.
- Im Großherzogtum Luxemburg wird die Wahl der Betriebsräte als Sozialwahl bezeichnet — dies ist hier nicht gemeint.
In der Bundesrepublik zählt die Sozialwahl zusammen mit der Wahl zum Europäischen Parlament zu den größte Wahlen, bei denen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit aktiv und passiv wahlberechtigt sind.
In einem Blogartikel aus dem Jahr 2017 warnten wir auf dieser Website unter anderem vor der zu erwartenden Aggression von öffentlicher Verwaltung und #eVoting-Lobby gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit von Wahlen durch die Einführung von #eVoting: Sie werden zuerst gegen die allgemeine Nachprüfbarkeit der Sozialwahl gerichtet sein (»Online-Sozialwahl«), weil diese Wahl bisher als Briefwahl durchgeführt wird.
Diese Aggression gegen die allgemeine Nachprüfbarkeit von Wahlen hat inzwischen begonnen:
Die nötige Gesetzesinitiative hat die rechtsgerichtete Bundesregierung auf Antrag von Bundesminister Hubertus Heil (Ressort Arbeit und Soziales; SPD) am 18. Dezember 2019 beschlossen (Kabinettssache 19/11097).
Nein, ganz im Gegenteil.
Rund um den Globus haben fast alle Menschen, die Online-Wahlen ablehnen, eine profunde Kenntnis der fachlichen und technischen Grundlagen.
Viele von ihnen setzen politische Online-Beteiligung in der Praxis auf andere Weise um als durch Online-Wahlen. Sie stellen sich nicht gegen technischen und gesellschaftlichen Fortschritt, sondern tragen aktiv zu diesem Fortschritt bei, jedoch auf einem informierten und verantwortungsvollen Weg.
Die Behauptung, dass diese Menschen technischen Fortschritt ablehnen oder dass sie lediglich »Bedenken« geltend machen, ist eine durchsichtige Masche von Wahldienste-Anbietern (also der eVoting-Lobby), von Politiker:innen wie Jens Spahn, die keine eigene Sachkenntnis über das Thema Online-Wahlen haben, und den Akteur:innen eines Netzwerks rechtsgerichteter Jurist:innen.
Von diesen Lügen einer schlechten und verantwortungslosen politischen Kommunikation abgesehen:
Angriffe auf eVoting-Systeme sind keine Fantasie von Technik-Verweiger:innen — Sie finden jedes Jahr überall auf dem Globus statt.
- Es ist eine gegebene Tatsache, dass das amtliche eVoting-System von Estland mehrfach erfolgreich angegriffen wurde (siehe unten auf dieser Seite).
- Es ist eine gegebene Tatsache, dass eVoting-Systeme bei öffentlichen Wahlen in der Schweiz mehrfach erfolgreich angegriffen wurden (siehe unten auf dieser Seite).
- Es ist eine gegebene Tatsache, dass im Jahr 2020 eine amtliche Wahl in der Dominikanischen Republik wegen Problemen mit den eVoting-Systemen abgebrochen werden musste.
Dies alles entspringt nicht der Fantasie von Technik-Verweiger:innen, sondern ist objektiv nachprüfbare Wirklichkeit und nur eine kleine Auswahl.
Die Einführung von geheimen Wahlen über Online-Dienste und mit Wahlgeräten hat immer zur Folge, dass Laien die Wahlergebnisse nicht mehr nachprüfen können. Dies ist eine unausweichliche Folge der Entmaterialisierung der Wahl, d.h. der Abschaffung von Papierstimmzetteln.
Die Beseitigung dieser Laienkontrolle (so der Fachbegriff) ist geradezu der Inbegriff eines anti-emanzipatorischen Prokjektes, da die Stimmberechtigten gezwungen werden, für die Ermittlung des Wahlergebnisses demjenigen blind zu vertrauen, dessen Macht durch die Wahl unmittelbar oder mittelbar legitimiert werden soll.
Das rechtfertigt, die Einführung von Online-Wahlen als Projekt rechtsgerichteter Akteur:innen einzuordnen.
Wer die Laienkontrolle von Wahlen abschaffen will, vertritt letztlich eine autoritäre Haltung, mit der die Legitimationskette zwischen Abstimmungsentscheidung der Wahlberechtigten und den Mandatsträger:innen zerstört wird.
Die Frage, ob Jurist:innen die Abschaffung der Nachprüfbarkeit von Wahlergebnissen für konform mit der Rechtslage der Bundesrepublik halten, ist unabhängig vom politischen Willen der Stimmberechtigten hinsichtlich der Frage der Einführung einer Online-Wahl und von der Frage, was hinsichtlich der Einführung einer Online-Wahl politisch wünschenswert ist, weil der Grundsatz der Öffentlichkeit von Wahlen (d.h. deren allgemeine Nachprüfbarkeit) zunächst einmal eine heutzutage praktisch global akzeptierte Wertvorstellung ist, ebenso wie die übrigen Wahlgrundsätze zunächst einmal verbreitete und akzeptierte Wertvorstellungen sind — unabhängig davon, ob und wie sie in einer Verfassungs- oder Rechtsnorm verankert sind.
Auch die Frage, ob Techniker:innen eine Online-Wahl für sicher ansehen, ist unabhängig von der Frage, ob das Ergebnis einer Wahl allgemein nachprüfbar ist, die ganz oder teilweise online durchgeführt wird (ob die Wahl also dem Grundsatz der Öffentlichkeit genügt).
Denn allgemein nachprüfbar ist ein Wahlergebnis nur dann, wenn es nicht nur von Expert:innen nachvollzogen werden kann – wenn überhaupt –, sondern auch von Lai:innen (sogenannte Laien-Kontrolle der Wahl).
Die Unvereinbarkeit der drei Aspekte:
- Geheime Wahl (d.h. Wahl mit geheimer Stimmabgabe)
- Entmaterialisierte Wahl (d.h. ohne Papierstimmzettel)
- Öffentliche Wahl (d.h. eine durch Laien nachvollziehbare Wahl)
ist in der fachlichen Debatte seit vielen Jahren als Wahlcomputerproblem bekannt, weil diese Unvereinbarkeit zuerst am Beispiel von Wahlgeräten (»Wahlcomputern«) herausgearbeitet wurde. Das Problem tritt aber auch bei allen anderen Wegen der Stimmabgabe auf, die ohne materielle Artefakte (z.Bsp. ohne Papierstimmzettel) umgesetzt werden.
Das Wahlcomputerproblem ist kein technisches Problem, sondern ein soziales.
Deshalb gibt es dafür weder heute noch irgendwann in der Zukunft eine technische Lösung.
Im Gegenteil: Je mehr technischer Aufwand betrieben wird, um so größer wird das Wahlcomputerproblem.
Davon abgesehen gibt es an der technischen Sicherheit von Online-Wahlen sehr große Zweifel. So wurden beispielhalber in den Online-Wahlsystemen der Schweiz und Estlands über viele Jahre hinweg eine große Zahl von Angriffsmöglichkeiten festgestellt (siehe unten).
Die Schweiz, bei der es sich zweifellos weder um ein technisch rückschrittliches Gemeinwesen noch um einen Failed State handelt, ist zur Zeit dabei, nach 20 Jahren (!) ihre Versuche zur Einführung von Online-Wahlen aufzugeben; unter anderem, weil sich die technischen Problem als nicht beherrschbar herausgestellt haben und die entstandenen Kosten in keinem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen stehen.
Die materielle Durchführung der Wahl mittels Papierstimmzetteln dient aber nicht nur der leichten Laienkontrolle, sondern auch der Sicherheit der Wahl. Denn die Handhabung der Papierstimmzettel stellt aus kryptologischer Sicht einen Proof of Work (»Beweis durch Aufwand«) dar.
Gemeint ist damit, dass der Angriff auf eine Wahl, die mit Papierstimmzetteln durchgeführt wird, sehr viel aufwändiger ist, als eine Angriff auf eine Online-Wahl. So auch sinngemäß das Bundesverfassungsgericht in seinem »Wahlcomputerurteil« von 2009, jedoch ohne den Begriff Proof of Work zu verwenden.
Das leuchtet Dir unmittelbar ein, wenn Du Dir die Frage stellst, wie Du eine Wahl mit Papierstimmzetteln von der anderen Seite der Erdkugel aus in einem so großen Umfang manipulieren kannst, dass Du tatsächlich eine Veränderung der Mandatsverteilung erreichst?
Nein.
Die Gesetzesinitiative der rechtsgerichteten Bundesregierung (Kabinettssache 19/11097) sieht in einem neuen § 194b Abs. 2 des SGB V vor, dass die Vorsteher:innen des Wahlvorstandes Expert:innen mit der Prüfung des Wahlergebnisses beauftragen, weil der Wahlvorstand die Richtigkeit der Wahlergebnisse nicht mehr selbst beurteilen kann (vgl. dazu die Begründung des Gesetzes).
Dies wäre für eine große Wahl in der Bundesrepublik ein absolutes Novum.
In der Bundesrepublik und fast allen anderen Staaten hatte und hat die Einführung von eVoting immer zur Folge, dass das die praktische Durchführung der betreffenden Online-Wahl oder Online-Abstimmung aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zu gewerblichen Unternehmen verschoben wird.
Auch für die Einführung einer Online-Sozialwahl wird zunächst eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt werden müssen, um die Beauftragung eines Wahldienste-Anbieters mit der Durchführung der Online-Wahl vorzubereiten.
Die Verschiebung der Wahl aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zu gewerblichen Wahldienste-Anbietern schafft neue Risiken für die Wahldurchführung und die Glaubwürdigkeit des Wahlergebnisses, da die Aufdeckung von Angriffen nicht von vorn herein im eigenen Interesse des gewerblichen Wahldienste-Anbieters liegt.
Es ist leicht vorhersehbar, dass sowohl Wahldienste-Anbieter als auch die öffentliche Verwaltung Auskunft über Angriffe auf die Wahl mit der Begründung verweigern werden, dass anderen Angreifer:innen nicht mögliche Angriffswege offengelegt werden sollen.
Solche Argumente werden seit vielen Jahren in der Schweiz geltend gemacht, um die öffentliche Debatte über die Unsicherheit dortiger eVoting-Systeme abzuwürgen. (Vgl. dazu das Beispiel Schweiz unten auf dieser Seite.)
Nein.
Die wirksame Laienkontrolle wurde für die Wahlen zum deutschen Reichstag seit dem Jahr 1923 dadurch ermöglicht, dass uniforme Papierstimmzettel vorgeschrieben wurden.
Das Bundeswahlgesetz von 1867 für den Reichstag verlangte zwar schon die geheime Stimmabgabe, allerdings waren keine amtlichen, uniformen Stimmzettel vorgesehen. Dies führte in der Praxis dazu, dass die Stimmberechtigten entweder selbst Stimmzettel anfertigten oder die Parteien eigene Stimmzettel druckten und verteilten. In der Folge war die Wertvorstellung der Geheimheit der Wahl meist nicht erfüllt.

Wer geheime Online-Wahlen einführt, bewirkt damit also – gemessen am Wahlrecht des Reichstages der Weimarer Republik – einen Sprung zurück vor das Jahr 1923.
Ähnlich sieht die historische Entwicklung der Wahlen zum Preußischen Landtag aus. Für den Landtag galt bis 1918 ein Drei-Klassen-Wahlrecht.
Die Stimmberechtigten wählten die Mitglieder eines Wahlausschusses, der seinerseits die Mitglieder des Landtages wählten. Die Urwahl in der Dritten Klasse wurde ohne Stimmzettel durchgeführt, indem die Wahlberechtigten in absteigender Reihenfolge ihrer Steuerlast namentlich aufgerufen wurden und diese am einem Wahltisch dem Wahlrichter mitteilten, für welchen Wahlmann sie ihre Stimme abgaben. Diese Stimmabgabe wurde lediglich protokolliert, so dass auch hier keine wirksame Laienkontrolle möglich war.

Eine substantielle Änderung des Wahlrechts wurde erst durch die bevorstehende Novemberrevolution herbeigeführt. Der alte Preußische Landtag (vor der Ausrufung der Republik) beschloss zwar in letzter Minute noch die Abschaffung dieses Wahlverfahrens, jedoch wurde dieser Beschluss nicht mehr in die Praxis umgesetzt, da der alte Landtag kurz darauf aufgelöst wurde. Die Revolutionsregierung des Landes Preußen berief eine Landesversammlung ein, die nach neuem Wahlrecht erstmals mit wirksamer Laienkontrolle gewählt wurde. Sie arbeitete von 1918 bis 1921 die neue, republikanische Verfassung des Freistaates Preußen aus. Die erste reguläre Wahl zum Landtag des Freistaates Preußen mit wirksamer Laienkontrolle fand am 20. Februar 1921 statt. (Die Bezeichnung Freistaat zeigt an, dass der betreffende Staat sich als frei von Ausübung monarchischer Gewalt versteht.)
Wer geheime Online-Wahlen einführt, bewirkt damit also – gemessen am Wahlrecht des Preußischen Landtages – einen Sprung zurück vor das Jahr 1918.
Wer die Laienkontrolle von Wahlen abschafft, verhilft demnach der Praxis der Demokratie nicht zu einem Sprung ins 21. Jahrhundert, sondern dreht das Rad der Geschichte auf wilhelminische Zustände des 19. Jahrhunderts zurück, als die Laienkontrolle von Wahlen hart erkämpft wurde.
Nein.
Durch Einführung von #eVoting wird die allgemeine Nachprüfbarkeit von Wahlen aufgegeben und damit auch die glaubwürdige Bestreitbarkeit von Manipulationen.
Deshalb sind Online-Wahlen nicht neutral gegenüber dem politischen Spektrum, denn rechtsgerichtete Akteur:innen nutzen in ihrer politischen Kommunikation gezielt Verschwörungstheorien, um die öffentliche Debatte für eigene Ziele zu kapern.

Bei den Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai 1989 verabredeten sich Oppositionsgruppen dazu, in vielen Wahllokalen eine Laienkontrolle der Wahl durchzuführen, indem sie die Auszählung der Stimmen beobachteten und dokumentierten und anschließend mit dem amtlichen Endergebnis der Wahl verglichen.
Die durch diese Laienkontrolle nachgewiesenen Manipulationen der Wahlergebnisse können als gesellschaftlicher Kipp-Punkt zur Überwindung des Regimes angesehen werden, da anschließend monatliche Mahnwachen für freie Wahlen abgehalten wurden, die letztlich zu immer weiter ausgreifenden Protesten führten.
Die in Westdeutschland weniger bekannten Mitglieder des DDR-Politbüros wurden auch deshalb im Januar 1990 aus der SED/PDS ausgeschlossen, weil sie Manipulationen der Kommunalwahl 1989 entweder aktiv betrieben oder sie geduldet hatten.
Genau diese Laienkontrolle ist bei Einführung von eVoting nicht mehr möglich.
Durch diesen Hinweis soll keineswegs eine Gleichstellung der politischen Verhältnisse zwischen der damaligen DDR und der heutigen Bundesrepublik nahegelegt werden, wie sie bei rechten Parteien und Gruppen üblich ist.
Auch die Angriffswege und die interessierten Akteur:innen wären bei Online-Wahlen überwiegend andere als bei den Kommunalwahlen in der DDR.
Das Beispiel zeigt aber höchst anschaulich, welche konkrete Auswirkung die Beseitigung der Laienkontrolle durch Einführung von eVoting hat.
Die neoliberale Verwüstung durch die »Agenda 2010« von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen und das dazu gehörende Hartz-IV-Konzept (»Arbeitslosengeld 2«) stellt – um das Mindeste zu sagen – auf die Vergrämung von Menschen aus dem Bezug von Transferleistungen ab, auf die ihnen vor der Hand ein Anspruch eingeräumt ist.
Diese Menschen machen seit über 15 Jahren die Erfahrung, dass sie durch willkürliches und sinnloses Verwaltungshandeln aus ihrer Wohnung, aus ihrer Nachbarschaft, aus ihrer Krankenkasse und zu oft auch in den Tod (»Death of Despair«) getrieben werden.
Auf keinem anderen Rechtsgebiet in der Bundesrepublik gibt es deshalb in jedem einzelnen Kalendermonat so viele Klagen vor Gerichten wie auf dem Gebiet des SGB II, und auf keinem anderen Rechtsgebiet ist ein so hoher Anteil der Klagen gegen die öffentliche Verwaltung teilweise oder ganz erfolgreich.
Die Abschaffung der allgemeinen Nachprüfbarkeit der Ergebnisse der Sozialwahlen durch Einführung von #eVoting hat zur Folge, dass die Stimmberechtigten dann gerade dieser brutalisierten Sozialverwaltung blindes Vertrauen entgegen bringen sollen bei der Ermittlung und Prüfung von Wahlergebnissen, die Auswirkung haben auf die Kontrolle von Verwaltungsverfahren, auf deren Ordnungsmäßigkeit und Schnelligkeit die Stimmberechtigten existentiell angewiesen sind.
Es liegt auf der Hand, dass dies keinesfalls gelingen wird.
Die Kontrolle über den Bereich der öffentlichen Verwaltung nach dem SGB II unterliegt zwar nicht den Selbstverwaltungorganen der Bundesagentur für Arbeit, und diese werden auch nicht bei der Sozialwahl gewählt, dennoch gibt es einen Graubereich von personellen und operativen Überschneidungen.
So wird beispielhalber das für den Bereich SGB II zuständige Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit von der Selbstverwaltung dieses Sozialversicherungsträgers gewählt, obwohl dessen Tätigkeit im Bereich SGB II nicht der Kontrolle der Selbstverwaltungsorgane unterliegt.
Die Mitglieder des Selbstverwaltungsorgans auf der Bank der Versicherten werden meist von den selben Vereinigungen und Gewerkschaften vorgeschlagen, die auch Wahlvorschläge zur Sozialwahl bei anderen Sozialversicherungsträgern einreichen und die die Abschaffung der Nachprüfbarkeit der Ergebnisse der Sozialwahlen durch Einführung von #eVoting fordern.
Daneben verwenden die meisten »JobCenter« der Bundesrepublik IT-Verfahren, die von der Bundesagentur für Arbeit entweder selbst oder in ihrem Auftrag entwickelt werden, und es besteht ein intensiver Austausch von personenbezogenen Daten zwischen den Verwaltungsbereichen, die der Kontrolle der Selbstverwaltungsorgane der Bundesagentur unterliegen und denjenigen Verwaltungsbereichen, die der Aufsicht des zuständigen Bundesministerium unterliegen.
Die rechtsgerichtete Bundesregierung will nicht nur die Möglichkeit zur Laienkontrolle der Sozialwahl beseitigen, sondern auch die Möglichkeit zur Laienkontrolle von Betriebsratswahlen, indem auch dort die Einführung von #eVoting ermöglicht wird.
- Vgl. dazu: Redebeitrag von MdB Uwe Schummer (CDU) am 31. Januar 2020; Auszug aus dem Stenografischen Bericht, 19. Wahlperiode, 144. Sitzungstag, Seite 18019 (C).
Um einem Gemeinwesen die Einführung von eVoting schmackhaft zu machen, wird von der eVoting-Lobby regelmäßig auf die angeblich »problemlos« verlaufenden Online-Wahlen in Estland hingewiesen.
Beispielhalber verweisen die Bundeswahlbeauftragten für die Sozialwahl 2017, Rita Pawelksi (CDU; MdB 2002–2013, MdL NW 1990–2002) und Klaus Wiesehügel (SPD; Vorsitzender der IG Bau 1995–2013) auf die Online-Wahlen in Estland, um eine Online-Sozialwahl politisch durchzusetzen, als auch die Pressestellen vieler Sozialversicherungsträger und Gewerkschaften, aber auch die Mitglieder eines rechtsgerichteten Netzwerks von Jurist:innen.
- Hinweis — Die Wahrheit ist, dass die Online-Wahlen in Estland alles andere als »problemlos« sind. Dies wurde unter anderem von einer Gruppe von internationalen Fachleuten wie Alex Halderman als auch von estnischen Sachverständigen wie Märt Põder gezeigt (siehe unten auf dieser Seite). Märt wird dazu auf unserem Kongress #eVoteCon20 Mitte März 2020 in Mannheim berichten. Darüber hinaus haben Missionen von Wahlbeobachter:innen des Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) der OECD Änderungen an der Verfahrensweise in Estland empfohlen, die von amtlicher Seite nicht umgesetzt wurden.
Die Einführung von eVoting bei einer großen Wahl in der Bundesrepublik wird alle anderen europäischen Gemeinwesen stark unter Druck setzen, weil die eVoting-Lobby zukünftig die Mandatsträger:innen in den jeweiligen Parlamenten auf regionaler Ebene und auf staatlicher Ebene mit dem Beispiel der Bundesrepublik in die Zange nehmen wird — in ähnlicher Weise, wie in der Bundesrepublik das viel kleinere Beispiel von Estland in Anschlag gebracht wird, um Parlamente und öffentliche Verwaltungen inder Bundesrepublik politisch unter Druck zu setzen.

Weil es in der Bundesrepublik auf Bundesebene keine Werkzeuge der Direkten Demokratie gibt, ist ein #Sozialwahlstreik (Boykott der Mitwirkung und Teilnahme an der Sozialwahl) das einzige wirksame politische Mittel, für die Nachprüfbarkeit von Wahlergebnissen in der Bundesrepublik einzutreten.
Die Bestreikung der gesamten Wahlhandlung ist aus mehreren Gründen nötig und gerechtfertigt.
Hier sind zwei dieser Gründe:
- Eine Wahl, die auch nur teilweise mit elektronischer Stimmabgabe durchgeführt wird (sogenannte Hybridwahl), ist nicht ein bißchen kaputt, sondern ist vollständig kaputt, da kein vollständig nachprüfbares Gesamtergebnis festgestellt werden kann.
- Die Mitglieder des eingangs erwähnten Netzwerkes rechtsgerichteter Jurist:innen vertritt in mehreren öffentlichen Stellungnahmen die Rechtsauffassung, dass die #Sozialwahl nicht wichtig genug sei, um sie nach anerkannten und verbreiteten Wahlgrundsätzen durchzuführen. Wenn dem so sein sollte, dann ist die Wahl auch nicht wichtig genug, um daran teilzunehmen und eine Partizipations-Illusion zu erzeugen.
Wer mehrere rechtliche Stellungnahmen vorlegt, die im Kern behaupten, dass die Sozialwahl nicht wichtig genug sei, um sie nach verbreiteten und akzeptierten Wertvorstellungen über Wahlen durchzuführen, der delegitimiert damit vor allem die Sozialwahl und die durch sie bestimmten Mandatsträger:innen in der sozialen Selbstverwaltung.
Dadurch wird die soziale Selbstverwaltung in ihrer bisherigen Form ihrer Abschaffung ein deutliches Stück näher gebracht.
Dem Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn (CDU), könnte das entgegenkommen, da er eine strukturelle Umgestaltung der sozialen Selbstverwaltung hin zu weniger Laienbeteiligung anstrebt.
Aus mehreren öffentlichen Stellungnahmen der #eVoting-Lobby ergibt sich in aller wünschenswerten Klarheit, dass das Projekt der Online-Sozialwahl umgesetzt wird als Modell für Online-Wahlen zu Parlamenten in der Bundesrepublik.
Die Umsetzung von Online-Sozialwahlen ist deshalb einer der ersten Schritte zu künftigen Aggressionen gegen die allgemeine Nachprüfbarkeit von Parlaments-Wahlen in der Bundesrepublik.
Ein Netzwerk rechtsgerichteter Jurist:innen versucht bereits seit einigen Jahren die rechtliche Argumentation zu etablieren, dass Wahlen über das Internet nicht mit Wahlcomputern vergleichbar seien, weil es sich bei Wahlen über das Internet um Fernwahlen handele, die mehr mit Briefwahlen gemein hätten als mit Wahlcomputern.
Diese rechtliche Argumentation ist gewollt irreführend, da der entscheidende Aspekt an Wahlcomputern nicht ihre Nähe oder Ferne zu einem Wahllokal ist, sondern die Entmaterialisierung der Wahlhandlung, d.h. dass es kein Papierartefakt (den Stimmzettel) mehr gibt.
Die Entmaterialisierung der Wahlhandlung spielt eine wichtige Rolle im Wahlcomputer-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, weil das Gericht argumentiert, dass der Aufwand für die Handhabung materieller Stimmzettel letztlich einen Proof of Work darstellt, der zu einem hohen Entdeckungsrisiko von mandatswirksamen Manipulationen führt (d.h. von Manipulationen, die Auswirkungen auf die letztendliche Mandatsverteilung haben).
Nein.
Die Tätigkeit der sozialen Selbstverwaltung ist weitgehend intransparent, obwohl gesetzlich eine mindestmaß an Publizität vorgesehen ist.
Beispielhalber werden von den wenigsten Sozialversicherungsträgern ausreichend Sitzungsinformationen zur Tätigkeit ihrer Selbstverwaltung in menschen-lesbarer Form veröffentlicht (also nicht nur Ort und Zeit, sondern auch Tagesordnungen, Protokolle, Vorlagen, usw.)
Kein einziger (!) Sozialversicherungsträger stellt diese Informationen bisher in einer maschinen-lesbaren Form zur Verfügung, obwohl dies längst selbstverständlicher Teil öffentlichen Verwaltungshandelns sein sollte (Open Data; Open Government).
Bisher bestehen auch keine gesetzlichen Regeln über die Art und Weise der Aufstellung der Wahlvorschlagslisten und über Publizität dieses Vorgangs.
Deshalb ist geboten, durch einen #Sozialwahlstreik auch hier große Verbesserungen zu erstreiten.
Ähnlich wie in der Bundesrepublik betreiben in der Schweiz der öffentliche Dienst und die #eVoting-Lobby seit über 20 Jahren eine Aggression gegen die allgemeine Nachprüfbarkeit von Wahlen durch Einführung von #eVoting.
Am 9. Dezember 2019 hat der Nationalrat der Schweiz (entspricht dem Bundestag der Bundesrepublik) nun beschlossen, die Einführung von #eVoting wegen vieler Sicherheitslücken, die über Jahre nicht beseitigt werden konnten, und wegen hoher Kosten einzustellen.
Dazu fehlt noch die Zustimmung des Ständerates der Schweiz (entspricht dem Bundesrat der Bundesrepublik).
Durch den Beschluss wird dem Bundesrat der Schweiz (entspricht dem Bundeskabinett der Bundesrepublik) aufgegeben, bis auf weiteres keine Schritte mehr zur Einführung von Online-Wahlen auf Bundesebene zu machen.
Diesem Beschluss war die jahrelange Aufklärungsarbeit eines im politischen Spektrum umfassend von links bis rechts aufgestellten Bündnisses für ein eVoting-Moratorium voraus gegangen.
Der im folgenden Redebeitrag in Bezug genommene, aber nicht namentlich genannte Wahldienste-Anbieter ist die Firma Scytl mit Sitz in Spanien. Mit ihrem eVoting-System wurde in der SPD im Jahr 2019 auch die Abstimmung über die neuen Parteivorsitzenden durchgeführt. Die SPD hat also offenbar kein Interesse an glaubwürdiger, innerparteilicher Online-Willensbildung.
Redebeitrag von Franz Grüter (SVP) in der Debatte im Nationalrat am 9. Dezember 2019:
- Meldung dazu auf der Website des Schweizer Parlaments: Nationalrat will Versuchsbetrieb von eVoting einstellen
- Weitere Meldungen zum Thema (Medienspiegel)
Eine sehr häufig von der #eVoting-Lobby in Anschlag gebrachte Lüge ist das Märchen, dass die Einführung von Online-Wahlen zu einer höheren Wahlbeteiligung beitragen würde.
In Estland ist das Gegenteil der Fall: Die Wahlbeteiligung sinkt dort seit Jahren entweder trotz #eVoting oder wegen #eVoting.
Die Einführung von Online-Wahlen erschließt auch keine »neuen Wählergruppen« (»Diese jungen Leute«). Priit Vinkel, der Leiter des Wahlamtes von Estland, fasst die Forschungsergbnisse zu Online-Wahlen in Estland so zusammen:
»Die Forscher sagen, dass der elektronische Wähler größtenteils der frühere Papierwähler ist (kein völlig neuer früherer Nichtwähler).« (Ersatzkasse-Magazin, Nr. 4/2019)
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- Kommunalwahl in Estland: Wahlberechtigte, gültige Stimmen, gültige eVotes (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Parlamentswahl in Estland: Wahlberechtigte, gültige Stimmen, gültige eVotes (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Wahl zum Europäischen Parlament in Estland: Wahlberechtigte, gültige Stimmen, gültige eVotes (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Kommunalwahl in Estland: Gültige eVotes nach Altersgruppe und gültige Papierstimmzettel (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Parlamentswahl in Estland: Gültige eVotes nach Altersgruppe und gültige Papierstimmzettel (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Wahl zum Europäischen Parlament in Estland: Gültige eVotes nach Altersgruppe und gültige Papierstimmzettel (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Kommunalwahl in Estland: Anteil gültiger eVotes nach Altersgruppen (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Parlamentswahl in Estland: Anteil gültiger eVotes nach Altersgruppen (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
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- Wahl zum Europäischen Parlament in Estland: Anteil gültiger eVotes nach Altersgruppen (Quelle: Staatliche Wahlkommission Estland, www.valimised.ee/en/archive/statistics-about-internet-voting-estonia)
Dass die Online-Wahlen in Estland auf viele Arten sozial und technisch angreifbar sind, ist in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt worden.
Hinweis — Grundsätzlich müssen die beiden Fragen auseinander gehalten werden:
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- Ob eine Wahl tatsächlich manipuliert wurde?
- Ob Manipulationen der Wahl glaubhaft bestritten werden können?
Denn wenn Manipulationen nicht glaubhaft bestritten werden können, hat niemand etwas davon, dass vielleicht tatsächlich keine Manipulationen stattgefunden haben.
Ausführliche Darstellung von J. Alex Halderman aus dem Jahr 2014:
Präsentation von Märt Põder (Estland) aus dem Jahr 2019:
- Folien als PDF
- Zusammenfassung auf der Website des 36. Chaos Computer Congress
Märt Põder gelang in der Vergangenheit mit einfachsten Mitteln innerhalb einer Stunde die Einschleusung einer Stimmabgabe in das amtliche eVoting-System, deren Gültigkeit oder Ungültigkeit nicht geklärt ist (»Schrödinger’s Vote«). Er ist als Sachverständiger Mitglied einer Arbeitsgruppe des estnischen Ministeriums für Außenhandel und Informationstechnik zur Nachprüfbarkeit, Sicherheit und Publizität des amtlichen eVoting-Systems.
Märt wird an unserem Kongress #eVoteCon20 Mitte März 2020 in Mannheim teilnehmen und dort über Estlands amtliches Online-Wahlsystem berichten.